LONDON/NEW YORK, 5. Mai 2016 – Die produktionsseitigen Anlagen der sieben weltweit größten privaten börsennotierten Öl- und Gaskonzerne könnten zusammengenommen 100 Milliarden $ mehr wert sein, wenn sie ihre Investitionspläne auf das 2°C-Ziel ausrichten würden, wie eine neue Studie der Carbon Tracker Initiative belegt, die heute erschienen ist.
Sie kommt zu dem Schluss, dass die Verfolgung eines Wachstumsmodells mit Fortschreibung der jetzigen Situation (also „Business as usual“, kurz BAU) finanziell nur dann sinnvoller wäre als ein 2°C-Projektportfolio mit geringeren Kosten, wenn die Ölpreise längerfristig eine Grenze von 120 $ pro Barrel überschreiten würden.
Des Weiteren warnt der Bericht davor, dass Projekte, die auf hohe Ölpreise setzen, Risiko behafteter sind und nach dem Aufschlag einer „Risikoprämie für fossile Brennstoffe“ müssten sogar beispiellose Preisniveaus von 180 $ pro Barrel erreicht werden – mehr als das Doppelte der langfristigen Durchschnittsprognose der OPEC von 80 $ pro Barrel – um BAU-Modelle im Vergleich attraktiver zu gestalten.
Man geht davon aus, dass es sich bei der Kohlenstoff-Sensitivitätsanalyse der Denkfabrik um die erste Veröffentlichung eines unabhängigen 2˚C-Stresstests für Upstream-Investitionen in neue Öl- und Gasprojekte handelt.
Aktionäre werden inzwischen aktiv und haben Anträge eingereicht, die ExxonMobil, Chevron und weitere US-amerikanische Energieunternehmen dazu auffordern, Stresstests durchzuführen, um eine Wertoptimierung sicherzustellen und angesichts strengerer Vorschriften und eines Rückgangs der fossilen Nachfrage als Folge des wirtschaftlichen Umschwungs nicht einfach nur einer BAU-Strategie zu folgen. Die Aufsichtsräte der Royal Dutch Shell und der BP trafen letztes Jahr die Entscheidung, vergleichbare Anträge zu unterstützen, die von einer starken Aktionärsmehrheit vorgetragen wurden. Vom Forum für Finanzstabilität wurde eine Arbeitsgruppe für Klima ins Leben gerufen, die sich erst jüngst darüber beraten hat, wie diese Sensitivitätsanalyse Klimarisiken mindern könnte.
„Eine einfache Kohlenstoff-Sensitivitätsanalyse zeigt, dass Ölgroßkonzerne, die um jeden Preis ein Mengenwachstum ansteuern, geringere Shareholder-Werte versprechen als Unternehmen mit disziplinierterem Ansatz. Aus diesem Grund müssen Finanzaufsichtsbehörden 2°C-Stresstests im Energiesektor als Standard einführen, um eine Kapitalverschwendung seitens der Unternehmen zu vermeiden“, erklärt James Leaton, Forschungsleiter bei Carbon Tracker.
Sinn und Sensitivität: Wertzuwachs mit einem 2˚C-Portfolio kombiniert emissionsarme Szenarien mit Ölpreisen und Diskontsatz-Sensitivität für die sieben großen Ölkonzerne – ExxonMobil, Shell, BP, Chevron, ConocoPhillips, Eni und Total –, um zu messen, wie eine Verminderung der Belastung durch kosten- und CO2-intensive Projekte den Wert ihrer Upstream-Beteiligungen steigern kann.
Die Kohlenstoff-Sensitivitätsanalyse vergleicht den BAU-Wert des kombinierten Upstream-Portfolios der Ölkonzerne mit dem Wert eines Portfolios, das nur kostenarme Projekte enthält, die zur Befriedigung der Nachfrage in einer 2°C-Welt ausreichen würden.
„In einer 2°C-Welt müssen sich die Großkonzerne des Öl- und Gassektors einem Rückgang der Ölnachfrage stellen. Dies kann sich jedoch trotzdem als wertsteigernde These herausstellen, wenn sie ganz einfach die Entwicklung von kostenintensiven und CO2-intensiven Projekten vermeiden“, so Mark Fulton, Berater von Carbon Tracker und Co-Autor des Berichts.
Die Untersuchung führt das Konzept einer Risikoprämie für fossile Brennstoffe (FFRP) für Unternehmen ein, die davon ausgehen, dass die hohe Nachfrage in Zukunft zu immer höheren Ölpreisen führen wird. Denn diese Unternehmen gehen das Risiko ein, Projekte mit höherem Risiko und geringeren Renditen zu befürworten. Zu diesen risikoreicheren CO2-intensiven Projekten zählen in der Regel kanadische Ölsande und Schweröle, wie sie normalerweise in Venezuela zu finden sind, sowie einige Tiefseeprojekte.
Die Risikoprämie berücksichtigt das höhere Risiko, das mit der Weiterverfolgung von kostenintensiven Wachstumsprojekten verbunden ist, im Vergleich zu einem kostengünstigeren Portfolio, das auf die 2°C-Nachfrage eingeht. Der sich hieraus ergebende höhere Diskontsatz bestärkt nur die These, dass sich ein 2°C-Portfolio für den heutigen Anleger mehr lohnt, solange die Ölpreise nicht nachhaltig in horrende Höhen steigen.
„Die Ölkonzerne haben bereits in der Vergangenheit phasenweise dem Konzept ‚Wert vor Menge’ den Vorrang gegeben, dieser Ansatz sollte jedoch zu einem dauerhaften Verhalten werden, indem die Risikoprämie für die Weiterverfolgung kostenintensiver Projekte ansteigt“, erläutert Paul Spedding, ehemaliger globaler Leiter der Forschungsabteilung für Öl und Gas von HSBC und Berater von Carbon Tracker.
Die OPEC sieht einen Durchschnittspreis von ungefähr 80 $ pro Barrel bis ins Jahr 2040 voraus, während das 450-Szenario der IEA Ölpreisprognosen von durchschnittlich unter 100 $ pro Barrel bis 2040 anführt – weit unter dem Preisniveau, das eine BAU-Strategie gerechtfertigen könnte. Aktionärsanträge baten um Stresstests auf Basis der IEA-Szenarien. Diese Analyse macht deutlich, dass ein 2°C-Pfad eine gute Nachricht für Anleger ist, wenn das Unternehmensmanagement die richtigen Entscheidungen trifft.
„Ein umsichtiger Investitionsaufwand kann positive Auswirkungen für den Shareholder-Value haben – die Geschäftsführung kann für ihre Investoren die besten Ergebnisse erzielen, wenn sie ihr Unternehmen auf eine Welt mit rückläufiger Nachfrage vorbereitet, ganz gleich ob sie selber davon überzeugt ist oder nicht“, sagt Andrew Grant, Finanzanalyst bei Carbon Tracker.
Der Bericht legt Ölkonzernen nahe, vorsichtige Annahmen zur zukünftigen Nachfrage zugrunde zu legen und weist darauf hin, dass bereits eine geringe Überversorgung – an die 2 % – zum derzeitigen Zeitalter der Preisvolatilität geführt hat und von Ende 2014 bis Ende 2015 Investitionen in Höhe von 380 Milliarden $ storniert oder aufgeschoben wurden. Ein wesentlicher Teil dieser Investitionen war bekannterweise kostenintensiven Produktionen vorbehalten.
Für weitere Informationen oder zur Vereinbarung eines Interviews wenden Sie sich bitte an:
Stefano Ambrogi, Medienmanager, +44 7557 916940, sambrogi@carbontracker.org
Die Carbon Tracker Initiative ist ein Team aus Sachverständigen der Finanzwelt, das die Klimarisiken in den heutigen Finanzmärkten identifiziert und analysiert. Die bisherige Arbeit von CTI zum Thema unantastbarer Kohlenstoff, die Kohlenstoffblase und verlorene Investitionen hat eine neue Debatte angestoßen, wie das Finanzsystem mit dem Übergang in eine emissionsarme Zukunft in Einklang gebracht werden kann.
Anmerkungen für Redakteure
Methodik: Carbon Tracker hat die kombinierten Upstream-Projektportfolios der sieben größten Konzerne im Öl- und Gassektor analysiert. Dabei wurde der Nettobarwert ihrer BAU-Projektpipeline mit dem NPV (engl. „net present value“) von nur kostengünstigeren Projekten verglichen, der gemäß dem 450-Szenario der Internationalen Energie-Agentur (IEA) zur Nachfragedeckung in einer 2°C-Welt nötig sind. CTI führte eine Sensitivitätsanalyse mit unterschiedlichen Ölpreisen von bis zu 180 $ pro Barrel durch und wandte einen Diskontsatz von 10 % zuzüglich einer weiteren FFRP von 0,5 % auf das BAU-Portfolio an, um seiner höheren Volatilität Rechnung zu tragen.
Konsultation des Arbeitskreises für die Veröffentlichung von klimabezogenen Finanzergebnissen des Forum für Finanzstabilität
https://www.fsb-tcfd.org/survey/
Aktionärsanträge für Zwei-Grad-Stresstests:
Investoren, angeführt vom New York State Common Retirement Fund, Church of England, Wespath Investment Management, Vermont State Pension Fund, University of California President’s Office, Tri-State Coalition for Responsible Investment, Presbyterian Church USA, Mercy Investment Services und Nathan Cummings Foundation haben Anträge auf Durchführung von Zwei-Grad-Stresstests bei AES Corp, ExxonMobil, Chevron, Occidental Petroleum, Devon Energy, Noble Energy und der Southern Co. eingereicht.
https://www.ceres.org/press/press-releases/investors-raising-heat-on-fossil-fuel-companies
Investorenanträge bei der BP und Royal Shell: